Zur Namensdebatte im Fach Volkskunde
Wandte sich die Volkskunde im 19. Jahrhundert immer mehr von einer aufgeklärten hin zu einer romantischen Wissenschaft, welche nach einer volkstümlichen Lebensweise suchte [1], so wurde diese Entwicklung von den Nationalsozialisten dankbar aufgegriffen. Indem sie das Fach für ihre Zwecke instrumentalisierten, formten sie daraus eine „rassistisch und volkserzieherische Volkskunde, die ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit völlig verlor“ [2].
Nicht zuletzt deshalb entwickelten sich in der Nachkriegszeit Bestrebungen zu einer sowohl inhaltlichen wie auch namentlichen Neuorientierung dieser Disziplin und in deren Folge ein reger wissenschaftlicher Disput, der 1970 in der sogenannten „Falkensteiner Tagung“ der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (DGV) ihren Höhepunkt fand. Einhergehend mit einer daraus resultierenden Neuausrichtung wählten nunmehr etliche wissenschaftliche Institutionen auch neue Bezeichnungen für ihr Fach, die – je nach Schwerpunktsetzung und Sichtweise – durchaus unterschiedlich ausfielen. Aus dem Fach Volkskunde wurde ein „Vielnamenfach“ (Gottfried Korff).Beispielhaft wird in diesem Band der Meinungsbildungsprozess am Göttinger „Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie“ (seit 2003, früher: Seminar für Volkskunde der Georg-August-Universität) nachgezeichnet, wie er ähnlich wohl auch in vielen anderen Institutionen verlief. Er versammelt Vorträge und Diskussionen, die im Verlauf des Vorjahres die Namensdiskussion im Institut animierten.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland zeigen hier die Potentiale und die Lasten verschiedener Namensgebungen für eine Kulturwissenschaft auf. Das Einbeziehen von Berichten, Stellungnahmen und Plädoyers aus anderen Instituten bietet einen Blick nicht nur auf die namentliche Verortung, sondern auch darauf, wie das Fach sich im frühen 21. Jahrhundert in der breiteren Wissenschaftslandschaft wahrnimmt.
Göttingen hatte bereits in den frühen 1990er Jahren Anläufe in Richtung Umbenennung genommen, deren Verlauf und Ausgang hauptsächlich durch „oral history“ zu belegen war. Nicht zuletzt deswegen sollten die Komponenten des Entscheidungsprozesses auch in publizierter Form vorgelegt werden.
Mit Beiträgen von: Hermann Bausinger, Regina Bendix, Tatjana Eggeling, Silke Göttsch, Reinhard Johler, Barbro Klein, Walter Leimgruber, Carola Lipp, Orvar Löfgren, Peter Niedermüller und Gisela Welz.
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1 Vgl. Rolf W. Brednich (Hrsg.): Grundriß der Volkskunde. Berlin 32001, 31.
2 Vgl. Wikipedia: „Volkskunde“.
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