Eine Karriere während der Zeit des Nationalsozialismus
Im Jahr 1938 wurde der Theologe Eugen Mattiat (1901–1976) als Professor an die Universität Göttingen versetzt mit der Aufgabe, ein Seminar für Volkskunde zu gründen. Mattiat war weder promoviert noch habilitiert und hatte das Fach Volkskunde nie studiert.
In ihrer „Fallstudie einer Karriere im Nationalsozialismus“ untersucht Isabella Bozsa, über welche Kameraden-Netzwerke der ehemalige Pastor aus Kerstlingerode, der früh der NSDAP beigetreten war, in das Reichserziehungsministerium aufstieg. Sie zeigt, wie Mattiat aus politisch-strategischen Gründen eine außerordentliche Professur für praktische Theologie in Berlin erhielt, über die er wiederum nach Göttingen gelangte, wo er als Volkskundeprofessor der Philosophischen Fakultät angehörte. Als Mitglied des Sicherheitsdienstes und SS-Hauptsturmführer fungierte er zudem als Leiter des Göttinger Nationalsozialistischen Dozentenbundes, einem Disziplinierungsorgan für Hochschullehrer.
Da Eugen Mattiat sichtlich ein Profiteur des Systems war, wurde ihm in der Nachkriegszeit die Professur entzogen. Bei der Entnazifizierung wurde er zuerst als als „minder-“ und später als „persönlich unbelastet“ eingestuft und 1953 trotz seines zeitweisen Kirchenaustritts wieder als Pastor in den Kirchendienst übernommen.
Sachbedingt beleuchtet diese Untersuchung weniger die Volkskunde als Fach, sondern eher das komplizierte Verhältnis von protestantischer Kirche, Theologie, Hochschulen und Staat im Nationalsozialismus.